Palo Alto/Kalifornien – Anders als gelegentlich vermutet hat die Viruslast auch bei hospitalisierten Patienten noch einen deutlichen Einfluss auf den Verlauf von COVID-19. In einer Querschnittstudie in den Annals of Internal Medicine (2022; DOI_ 10.7326/M22-0924) war die Konzentration der Virus-Antigene in einer Blutprobe ein wichtiger Prädiktor für den Ausgang der Erkrankung.
Antigentests werden bei Infektionen mit SARS-CoV-2 normalerweise nur in den Nasen- und Rachenabstrichen durchgeführt – wobei in der Praxis nur ein qualitativer Nachweis erfolgt. Bei einem quantitativen Test ist die Konzentration der Antigene zu Beginn der symptomatischen Phase am höchsten.
Auch bei Patienten, die schwer erkranken, ist es zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme häufig schon zu einem Rückgang der Viruslast im Nasen- und Rachenraum gekommen. Dies hat zu der Vermutung geführt, dass der Schweregrad der Erkrankung nur zu Beginn durch die Viruslast bestimmt wird.
Später soll ausschließlich die überschießende Immunreaktion für die Prognose verantwortlich sein. Diese Hypothese wird durch die hohe Effektivität von Virustatika und Antikörper-Präparate/Serumtherapie in der Anfangsphase der Erkrankung gestützt, während in der Spätphase derzeit (bis auf Remdesivir) nur Kortison und andere immunmodulatorische Wirkstoffe eingesetzt werden.
Die Analyse von Blutproben aus der weltweiten TICO-Studie („Therapeutics for Inpatients With COVID-19“, früher auch ACTIV-3 genannt) weisen in eine andere Richtung. In der Studie prüft das US National Institute of Allergy and Infectious Diseases zusammen mit einigen Herstellern die Wirksamkeit verschiedener Medikamente gegen COVID-19 bei hospitalisierten Patienten.
Angel Rogers von der Stanford University in Palo Alto und Mitarbeiter haben jetzt Blutproben untersucht, die bei der Klinikaufnahme (und in der Regel vor dem Beginn der stationären Behandlung) von 2.694 Patienten aus 10 Ländern in Nordamerika, Europa, Asien und Afrika entnommen wurden. Die meisten Patienten waren nicht geimpft, für viele war es nicht die erste Infektion mit SARS-CoV-2.
Bei 95 % der Patienten waren Virus-Antigene im Blut nachweisbar, was auf eine Virämie hinweist. Die manchmal geäußerte Ansicht, dass die Patienten die primäre Infektion zu diesem Zeitpunkt bereits überwunden haben und eher unter den Fehlreaktionen des Immunsystems leiden, trifft demnach nicht zu. Im Gegenteil: Die Viruslast korrelierte mit dem Schweregrad der Erkrankung.
Patienten, die bis zu 4 Liter/Stunde Sauerstoff benötigten, hatten eine um 77 % höhere Viruslast als Patienten, die keinen Sauerstoff erhielten. Bei einem Sauerstoffbedarf von mehr als 4 Litern/Stunde war die Antigenlast 2,88-fach höher und bei Patienten, die nicht-invasiv beatmet wurden oder eine High-Flow-Sauerstofftherapie erhielten, war die Antigenkonzentration im Blut 3,10 mal höher.
Eine erhöhte Antigenlast wurde bei Patienten gefunden, die bereits seit mehr als 1 Woche krank waren. Auch Patienten mit Nierenerkrankungen (2,63-fach) und Männer im Vergleich zu Frauen (1,32-fach) hatten mehr Virusantigene im Blut. Bei ungeimpften Personen war die Viruslast 6,42-fach höher als bei geimpften. Eine Infektion mit der Delta-Variante war mit einer um 73 % erhöhten Antigenlast verbunden.
Patienten mit einer Antigenlast von weniger als 1.000 ng/l erholten sich schneller und konnten nach median 4 Tagen die Klinik verlassen gegenüber einem Aufenthalt von 7 Tagen bei einer höheren Antigenlast.
Bei Patienten mit einer Antigenlast von mehr als 1.000 ng/l kam es in den ersten 5 Tagen 3,36-fach häufiger zu einer klinischen Verschlechterung, wenn sie bereits geimpft waren oder eine frühere Infektion hatten. Bei einem negativen Antikörpertest war das Risiko bei derselben Antigenlast um den Faktor 7,92 erhöht.
Auffallend waren regionale Unterschiede: Die Teilnehmer aus Uganda hatten fast dreimal niedrigere Antigenspiegel als Teilnehmer aus den USA und Europa. In Singapur waren sie dagegen fast doppelt so hoch. Dass dies den (angeblich) milderen Verlauf von COVID-19 in Afrika südlich der Sahara erklärt, müsste nach Ansicht von Rogers jedoch nicht überprüft werden, da nur 10 % der Teilnehmer aus den beiden Ländern und dort nur aus einem Zentrum kamen.
Die Studie zeigt jedoch, dass die Virämie ein nicht zu unterschätzender Faktor in der Pathogenese der Erkrankung ist, weshalb nach Ansicht von Rogers weiterhin die Wirksamkeit von Virustatika bei hospitalisierten Patienten untersucht werden sollte. © rme/aerzteblatt.de
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