Müllheizkraftwerk in Darmstadt stellt aus Abfall Wasserstoff her

2022-09-02 21:52:46 By : Ms. Grace Guo

Von 2024 an wird im Müllheizkraftwerk Darmstadt Wasserstoff produziert, gelagert und abgefüllt. Aus verbranntem Klärschlamm soll dort auch Phosphor gewonnen werden.

Darmstadt – Wasserstoff aus Müll. Was sich utopisch anhört, soll in Darmstadt Wirklichkeit werden. Das dortige Müllheizkraftwerk des Zweckverbands Abfallverwertung Südhessen wird umgebaut und soll künftig Wasserstoff produzieren. Und nicht nur das: Auch Phosphor wird dort schon bald aus Klärschlamm zurückgewonnen und kann dann als Pflanzendünger Verwendung finden.

Das Investitionsvolumen für diese Modernisierungen könne noch nicht seriös geschätzt werden, heißt es vonseiten der kommunalen Energieversorgerin Entega, die das Müllheizkraftwerk Darmstadt betreibt. Erst müsse die Ausführungsplanung erstellt werden. Klar ist aber: Die Kosten werden in die Müllgebühren eingepreist.

Die elektrische Energie, die im Müllheizkraftwerk mittels Turbine und Generator erzeugt wird, soll künftig auch zur Elektrolyse und somit zur Produktion von Wasserstoff eingesetzt werden. In einem Elektrolyseur wird das Wasser unter Strom gesetzt, so dass sich Wasserstoff und Sauerstoff voneinander trennen.

Die TU Darmstadt ist an der größten Forschungsinitiative des Bundes zur Energiewende beteiligt und versucht zu erforschen, wie Wasserstoff in großen Mengen industriell hergestellt werden kann.

Das Projekt wird sich in zwei Ausbaustufen gliedern. Bis 2024 solle die Wasserstoffinfrastruktur mit Elektrolyseur und einer Erzeugungsleistung von rund 1200 Kilogramm pro Tag aufgebaut sein, erklärt die Entega auf FR-Anfrage. In einem zweiten Schritt könnte die Leistung verdoppelt werden. Eine Vergleichszahl: Ein Auto kommt mit einem Kilogramm Wasserstoff derzeit rund 100 Kilometer weit.

Abnehmer für den Wasserstoff ist die Stadt selbst. Sie will sukzessive die Busflotte ihrer Nahverkehrsgesellschaft, Müllautos und Fahrzeuge der Stadtreinigung mit Wasserstoff betreiben. Die Brennstoffzellentechnologie ermöglicht nämlich eine deutlich höhere Reichweite als der Elektromotor. Außerdem soll der Wasserstoff fossile Brennstoffe ersetzen, die bislang noch für den Betrieb des Müllheizkraftwerks vonnöten sind.

Das Müllheizkraftwerk Darmstadt wurde 1967 nach dreijähriger Bauzeit als Müllverbrennungsanlage in Betrieb genommen und von 1996 bis 1998 generalsaniert. Im Lauf der Jahre entwickelte es sich von der reinen Müllverbrennung zu einem Heizkraftwerk.

Aktuell werden jährlich bis zu 225 000 Tonnen Abfall im Müllheizkraftwerk Darmstadt zur Energieumwandlung verbrannt – das entspricht dem Müll von mehr als 900 000 Einwohnern aus 65 Kommunen der Umgebung.

Bei der Abfallverbrennung entsteht Wärmeenergie, aus der Strom und Fernwärme erzeugt werden.

38 Millionen Kilowattstunden Strom werden im Müllheizkraftwerk jährlich erzeugt. Abzüglich des elektrischen Eigenbedarfs reicht das, um rund 35 000 Einwohner mit umweltfreundlich produziertem Strom zu versorgen. Der Strom wird in das Netz des kommunalen Energieversorgers Entega eingespeist.

Der Dampf, der durch die freigesetzte Verbrennungswärme in Wasserrohren entsteht, versorgt unter anderem das Nordbad, das Berufsschulzentrum, das Studentenwohnheim, das Hundertwasserhaus und mehrere Firmen mit Wärme. 150 000 Tonnen Dampf für umgerechnet 35 000 Einwohner fallen pro Jahr an.

Die Entega betreibt das Darmstädter Müllheizkraftwerk im Auftrag des Zweckverbandes Abfallverwertung Südhessen (ZAS). ann

Der Wasserstoff soll auf einem Privatgrundstück mit Zufahrtsbeschränkung gelagert und abgefüllt werden. So könne der Verkehr „geregelt ablaufen“, erläutert die Entega. Pro Tag seien zwei bis drei zusätzliche Busse oder Lastwagen zu erwarten.

Bis zum Jahr 2029 wird das Darmstädter Müllheizkraftwerk auch um eine Klärschlamm-Monobehandlungsanlage erweitert. Kläranlagen, die größer sind als 50.000 Einwohnerwerte, müssen in der Zukunft nämlich den im Schlamm enthaltenen Phosphor zurückgewinnen. Der Einwohnerwert gibt an, wie viel Schmutzfracht täglich von angeschlossenen Einwohnern in das Abwasser abgegeben wird.

Bisher bringen Landwirte den kommunalen Klärschlamm wegen seines hohen Stickstoff- und Phosphorgehalts noch als organischen Dünger auf ihren Feldern aus – sofern die Flächen nicht in Wasserschutzgebieten liegen und die Klärschlämme bestimmte Grenzwerte einhalten. Sie enthalten nämlich auch Mikroplastik, Medikamentenreste, Hormone sowie Metalle wie Blei, Cadmium, Kupfer oder Zink. Diese Schadstoffe werden bei der Verbrennung unschädlich gemacht.

Rund 55.000 Tonnen Klärschlamm sollen von 2029 an jährlich im Darmstädter Müllheizkraftwerk verbrannt werden. Das ist die Kapazität, die aus Kläranlagen der Stadt, aus Kommunen des Landkreises Darmstadt-Dieburg sowie aus den Kreisen Groß-Gerau und Bergstraße zu erwarten ist. Daraus entstehen dann rund 6000 Tonnen granulierte phosphorhaltige Asche, die Landwirte in der Region Südhessen als Düngemittel wiederverwenden können, beziehungsweise rund 1000 Tonnen Phosphat. Der Betrieb der Anlage solle „rein kostendeckend und ohne Gewinnerzielungsabsicht“ erfolgen, erklärt die Entega.

Geruchsbelästigungen seien nicht zu erwarten, versichert die Betreiberin. Der kommunale Klärschlamm werde an zwei eingehausten Abkippstellen mit geschlossenen Lastwagen angeliefert, um in zwei Silos zwischengelagert zu werden. In einem sogenannten Drehrohrofen – mit Heißgas aus einem neuen Müllverbrennungskessel befeuert – wird er getrocknet, pyrolysiert und verbrannt. Die entstehende Asche enthält 90 Prozent des im Klärschlamm enthaltenen Phosphors. Die komplette Verbrennungsluft des Drehrohrofens wird schließlich in den neuen Müllkessel zurückgeleitet und dort ebenfalls verbrannt. Die Rauchgasreinigung des Müllheizkraftwerks filtert die Schwermetalle aus, deren Siedepunkt vorher durch die Zugabe von Additiven herabgesetzt wurde. Sie entspricht laut Entega den höchsten Anforderungen des Bundesimmissionsschutzgesetzes.

Die Investitionskosten hätten zwar eine Auswirkung auf die Müllgebühren, schreibt Entega. Allerdings entfielen die stetig wachsenden Aufwendungen für Sanierung und Instandhaltung der in die Jahre gekommenen Müllkessel 1 und 2, da diese zurückgebaut und durch eine größere Verbrennungslinie ersetzt würden. Die konkreten Auswirkungen auf die Müllgebühren könnten noch nicht abschließend berechnet werden.

Auch in Frankfurt planen die Energieversorgerin Mainova und die Abfallentsorgerin FES, im Müllheizkraftwerk Nordweststadt Wasserstoff aus Siedlungsabfällen herzustellen. (Annette Schlegl)