Corona-Mutante in Indien: Christian Drosten beruhigt hinsichtlich Gefahr von Mutation B.1.617 - DER SPIEGEL

2022-03-19 07:46:24 By : Mr. Terence Zeng

Der Virologe Christian Drosten hält die Variante B.1.617 für »in der Medienbewertung überschätzt«

Der Virologe Christian Drosten zeigt sich angesichts der bisherigen Erkenntnisse über die indische Coronavariante B.1.617 weiter relativ gelassen. Aus der sehr kleinen verfügbaren Datenbasis lasse sich schließen, dass die Mutante nicht allein die heftige Infektionswelle in dem Land verursache, »sondern das ist mehr eine bunt gemischte Virus-Population«, sagte der Wissenschaftler von der Charité in Berlin im Podcast »Coronavirus-Update« von NDR-Info. Auch die ansteckendere Variante B.1.1.7, die mittlerweile in Deutschland dominiert, sei stark vertreten.

In Indien kommen derzeit aus Sicht Drostens mehrere Effekte zusammen: Herdenimmunität sei dort einer Studie zufolge bei Weitem noch nicht erreicht gewesen. Es werde nun eine Bevölkerung durchseucht, die schon ein bisschen die Anfangsimmunität aus den bisherigen Wellen zu verlieren beginne, sagte der Virologe. Gleichzeitig sei die Variante B.1.617 etwas verbreitungsfähiger und robuster gegen die Immunität. In der Fachsprache ist von Immunescape (Immunflucht) die Rede. Diese Eigenschaft sei bei B.1.617 leicht ausgeprägt. Das sei auch im Vergleich mit anderen Varianten »nichts, was einen wirklich groß beunruhigt«.

Im Moment halte er die Variante B.1.617 »in der Medienbewertung überschätzt«, sagte Drosten. Auch gebe es keine Belege, dass Menschen durch sie schwerer erkrankten. »Wenn viele Leute zur gleichen Zeit infiziert werden, dann hat man auch bei den jüngeren Altersgruppen auf einmal, absolut gesehen, ganz viele Kranke in einem kurzen Zeitfenster.« In Indien sei zudem die Grundgesundheit der Bevölkerung weniger gut als in Deutschland, was den Effekt der jüngeren Bevölkerung wieder etwas ausgleiche.

Drosten machte aber deutlich, dass sich der Sachstand ändern kann: »Es kann sein, dass in zwei Monaten sich herausstellt, dass doch irgendwas ist mit diesem Virus.«

Das ohnehin schlecht ausgestattete Gesundheitssystem Indiens steht angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen vor dem Zusammenbruch. Am Dienstag wurden erneut mehr als 350.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden gemeldet. Besonders dramatisch ist die Lage in der Hauptstadt Neu-Delhi.

In zahlreichen Krankenhäusern sind medizinischer Sauerstoff und Medikamente knapp. Angehörige von Coronapatienten suchen vor Ort und im Internet verzweifelt nach freien Krankenhausbetten.

Um die vielen Coronatoten einäschern zu können, wurden in Neu-Delhi auf einem Parkplatz rund ein Dutzend Scheiterhaufen aufgetürmt und angezündet. »Die Leute sterben, sterben und sterben einfach«, sagte der Koordinator des improvisierten Krematoriums, Jitender Singh Shanty, der Nachrichtenagentur AFP. Auf dem Parkplatz werden derzeit rund hundert Leichen pro Tag eingeäschert.

»Wenn wir noch mehr Leichen bekommen, werden wir sie auf der Straße verbrennen«, sagte Shanty. »Hier gibt es keinen Platz mehr.«

Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die Coronavariante B.1.617 bereits in mindestens 17 Ländern nachgewiesen worden. Das geht der Organisation zufolge aus mehr als 1200 Sequenzen hervor, die bis Dienstag in die Datenbank Gisaid eingespeist wurden. Die meisten der Nachweise stammten demnach neben Indien aus Großbritannien, den USA und Singapur.

Die internationale Hilfe zur Überwindung der katastrophalen Lage in dem Land ist bereits angelaufen: Als erste Hilfslieferung trafen am Dienstag hundert Beatmungsgeräte und 95 Sauerstoffkonzentratoren aus Großbritannien ein, wie das Außenministerium in Neu-Delhi mitteilte.

Auch die USA, Kanada und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) haben Hilfslieferungen angekündigt. US-Präsident Joe Biden etwa sagte Indien am Montag unter anderem Rohstoffe für die Impfstoff-Herstellung, Beatmungsgeräte, Coronatests und medizinische Schutzausrüstung zu. Außerdem gehört Indien zu den Ländern, an die die USA bis zu 60 Millionen Dosen des bei ihnen nicht zugelassenen Coronaimpfstoffs von AstraZeneca verteilen sollen.

Die EU-Kommission kündigte am Dienstag Hilfe für die kommenden Tage an. Geliefert würden über den EU-Katastrophenschutzmechanismus dringend benötigter Sauerstoff, Medikamente und Ausrüstung. Demnach gibt es bisher Hilfsangebote aus den sechs EU-Ländern Irland, Belgien, Rumänien, Luxemburg, Portugal und Schweden. Weitere Zusagen würden demnächst unter anderem aus Deutschland und Frankreich erwartet.

Die geplante Unterstützung über den EU-Katastrophenschutz umfasst bisher 780 Sauerstoffkonzentratoren, einen Sauerstoffgenerator sowie Sauerstofflieferungen, wie die Kommission erklärte. Hinzu kämen gut 540 Beatmungsgeräte und tausende Dosen des antiviralen Medikaments Remdesivir.

Die Bundesregierung will Indien mit Beatmungsgeräten, Anlagen zur Sauerstofferzeugung, Medikamenten und Masken helfen. Eine erste Hilfslieferung werde »in den nächsten Tagen« auf den Weg gebracht, sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes am Dienstag in Berlin.

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