Matthias Maurer: Das ist Deutschlands nächster Astronaut - DER SPIEGEL

2022-05-28 06:14:46 By : Mr. John Lee

Matthias Maurer: Ein Saarländer will starten

Bei jedem anderen würde man von einem Abenteuerurlaub sprechen. Genau genommen von einem Abenteuerurlaub in der XXL-Version. In den verschneiten Wäldern Russlands aus Tannenzweigen, einer Rettungsdecke und einer Plastikplane ein Zelt bauen? Check. Lavafelder und Höhlen erforschen am Timanfaya-Vulkan auf der Insel Lanzarote? Check. Abtauchen in ein Unterwasserlabor im Atlantik vor Key Largo im US-Bundesstaat Florida? Check.

Bei Matthias Maurer, 46, steht aber noch einiges mehr auf der Liste, denn der Mann gehört seit Kurzem offiziell zum Astronautenkorps der Europäischen Weltraumorganisation Esa, am Donnerstag wurde er offiziell vorgestellt. Er hat Seenotrettung und Brandbekämpfung im Hafen von Rostock geübt, ein paar Lektionen Raumstationstraining in Japan absolviert und an insgesamt 93 Parabelflügen in einem Spezialflieger teilgenommen - jeder rund 20 Sekunden lang. Damit ist er schon ein Drittel der Zeit in Schwerelosigkeit geschwebt, die Jurij Gagarin, der erste Mensch im All, erleben durfte.

Der Saarländer hat sich gut vorbereitet, denn im All und auf dem Hin- und Rückweg sind viele Qualifikationen gefragt. Maurer, ein promovierter Materialwissenschaftler, ist ein Nachzügler im Europäischen Astronautenkorps. Die aktuelle Astronautenklasse ist Ergebnis einer Auswahl aus dem Jahr 2008. Dabei hatten sich 8500 ernsthafte Interessenten beworben und Maurer kam unter die Top Ten. Für das Ticket ins All wurden aber zunächst fünf andere Männer und eine Frau in die noch engere Wahl gezogen.

Matthias Maurer: Ein Saarländer will starten

Doch immerhin: Maurer, der damals bei einem medizintechnischen Unternehmen arbeitete, bekam etwas später einen Job bei der Esa. Nun wird er, mit Verspätung, doch noch zum Astronauten befördert. "Es hat ein bisschen länger gedauert bei mir", sagt er nun im Gespräch mit SPIEGEL ONLINE. "In der Raumfahrt braucht man einen langen Atem." Hinter den Kulissen war das seit Monaten klar, mit seiner Vorstellung ist die Nachricht nun auch offiziell.

Eigentlich hatte man in der Bundesregierung damit geliebäugelt, erstmals eine Frau ins All zu schicken. Doch Esa-Chef Jan Wörner hatte klar gemacht: Auf der Nachrückerliste des Auswahlverfahrens von 2008 stehe nun mal keine deutsche Kandidatin. Also könne er auch keine nominieren. "Ich verstehe, dass der Wunsch da ist, dass eine Frau fliegt", sagt Maurer. "Ich bin nun aber einmal, wer ich bin."

Nun will eine private Initiative dafür sorgen, dass eine Deutsche zur Internationalen Raumstation fliegen kann, braucht dafür aber noch finanzkräftige Sponsoren.

Maurer hat indes ein anderes Problem, zumindest auf den ersten Blick: Er ist noch keiner zukünftigen Raummission zugeordnet. Während sein Kollege Alexander Gerst zum Beispiel weiß, dass er im kommenden Jahr für ein halbes Jahr zur Internationalen Raumstation fliegt, dort sogar erstmals das Amt des Kommandanten bekommt, steht bei Maurer noch gar nichts fest.

Reise ins All: Elf Raumfahrer und ein Maurer

Beim zweiten Hinsehen kann das aber durchaus ein Vorteil sein, zumindest lässt es Raum auch für exotischere Konstellationen. Maurer könnte eine Art Joker sein. So wäre er ein möglicher Kandidat, um beim Testflug des neuen US-Raumschiffes "Orion" eine Runde um den Mond zu drehen. Vorausgesetzt, ein Europäer darf mit - und die Nasa fliegt so um das Jahr 2021 überhaupt in diese Gegend. Im Moment hat der neue US-Präsident Trump mit dem Abbau von Grundrechten und Umweltschutzregeln so viel zu tun, dass er sich noch nicht weiter um die US-Raumfahrtbehörde kümmern konnte. Dort weiß man also noch nicht viel über die zukünftige Strategie.

"Der Mond wäre mein Wunschziel"

Ein anderer, womöglich sogar noch spannenderer Reisepartner wären die Chinesen. Die bauen gerade ihre neue Weltraumstation auf und wollen schon in absehbarer Zeit zum Mond. Esa-Chef Jan Wörner wiederum wirbt schon seit einiger Zeit für ein internationales Monddorf. In Maurers offiziellem Vorstellungsvideo war das auch in ein paar kurzen Szenen zu sehen. "Der Mond wäre mein Wunschziel", sagt er.

Chinesisch spricht Maurer auch schon, er hat am Landesspracheninstitut in der Ruhr-Universität Bochum und bei einem Sprachkurs-Aufenthalt in China gelernt. Außerdem trainieren chinesische Raumfahrer schon seit einiger Zeit mit europäischen Kollegen. Man kennt sich, baut Vertrauen auf.

Und erst kürzlich meldete sich die Crew der chinesischen Mission "Shenzhou 11" mit einem Video aus dem All, in dem der Kommandant Jing Haipeng in seinem blauen Overall zunächst etwas steif in die Kamera winkt. Er bedankt sich brav für einen Geburtstagskuchen, den ihm die Europäer auf seine Raumstation mitgeschickt hatten.

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Dann schwebt sein Kollege Chen Dong ins Bild. Er sagt, man hoffe "in naher Zukunft" auf einen gemeinsamen Flug mit europäischen Raumfahrern. Vielleicht ja mit Matthias Maurer? Der hätte Lust drauf, so viel ist klar: "Ich habe die chinesischen Kollegen als warmherzige, liebevolle Leute kennengelernt", so Mauer. "Ich vertraue der chinesischen Technik. Ich würde jederzeit mit ihnen fliegen."

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Maurer im Unterwasserlabor "Aquarius Reef Base": Mehr als 20 Meter unter den Wellen des Atlantiks testete der Materialwissenschaftler hier Technik, wie sie auch bei zukünftigen Raummissionen zum Einsatz kommen könnte. Auch andere Esa-Astronauten wie der Brite Tim Peake hatten hier vor ihrem Raumflug trainiert.

Maurer (re.) mit Astronautenkollegen Luca Parmitano und Pedro Duque (li.): Bei einer geologischen Expedition auf Lanzarote ging es darum, sich in Geologie fit zu machen. Vergleichbare Landschaften gibt es auch auf dem Mars.

Maurer vor einem Außeneinsatz: Noch ist er nicht im All unterwegs, sondern hier vor dem Sprung ins Wasser vor der "Aquarius Reef Base" in Florida.

"Aquanaut" im Einsatz: Neben Techniktests lässt sich im Unterwasserlabor auch einiges über Gruppendynamik lernen. Immerhin sind die Teilnehmer auf sehr engem Raum auf sich allein gestellt. Nachrichten aus der Außenwelt werden nur mit 15 Minuten Verzögerung übertragen. Es ist beinahe wie auf einem anderen Planeten.

Schweben üben: Unter Wasser konnte Matthias Maurer schon testen, wie sich Schwerelosigkeit anfühlt. Er hofft, das bald auch im All erleben zu können. Im Moment ist er aber noch keiner Mission zugeordnet.

Astronauten Parmitano, Duque und Maurer: Hier sind sie in den vulkanischen Höhlen von Lanzarote unterwegs. Lavaröhren sind für manche Experten interessante Standorte für Kolonien außerhalb der Erde, zum Beispiel auf Mond und Mars. Sie würden einen natürlichen Schutz vor gefährlicher kosmischer Strahlung bieten.

Maurer im Europäischen Astronautenzentrum im Köln: Was der Saarländer in den vergangenen Monaten erlebt hat, würde man bei vielen anderen als langgestreckten Abenteuerurlaub bezeichnen. Für ihn ist es Teil der Ausbildung.

Sigmund Jähn (ein Flug, fast acht Tage im All): Der NVA-Militärpilot aus dem Vogtland war der erste Deutsche im All. Im August 1978 startete er in der sowjetischen Kapsel "Sojus 31" ins All - und umkreiste in der Raumstation "Saljut 6" 125-mal die Erde. Bei der Rückkehr Jähns gab es Probleme. Der Fallschirm löste sich nicht von der Kapsel, die daraufhin durch die Steppe geschleift wurde. Jähn erlitt einen Wirbelsäulenschaden. Nach der Wende arbeitete er weiter als Berater im Raumfahrtbereich.

Ulf Merbold (drei Flüge, fast 50 Tage im All): Ende November 1983 flog Merbold als erster Nicht-US-Bürger mit einem Space Shuttle ins All, als Nutzlastspezialist bei der Mission mit dem Kürzel STS-9. Neun Jahre später, im Januar 1992, durfte Merbold dann wieder für eine Woche im Shuttle fliegen, auf der Mission STS-42. Sein letzter Aufenthalt im All war gleichzeitig der längste. Einen Monat lang war Merbold im Herbst 1994 Gast auf der russischen Raumstation "Mir".

Reinhard Furrer (l., ein Flug, sieben Tage im All): Zusammen mit zwei anderen Europäern, dem Deutschen Ernst Messerschmid (r.) und dem Niederländer Wubbo Ockels (M.), startete Furrer Ende Oktober 1985 zur D1-Mission im US-Space-Shuttle "Challenger". Furrer war begeisterter Sportpilot. Er starb im September 1995 bei einem Flugzeugabsturz auf dem Flugplatz Johannisthal. Zusammen mit einem Pilotenkollegen war er in einer historischen Maschine aus dem Zweiten Weltkrieg geflogen, die bei einer nicht fachgerecht ausgeführten Kunstflugfigur auf dem Boden aufschlug.

Ernst Messerschmid (ein Flug, sieben Tage im All): Er war außer Furrer der zweite Deutsche an Bord der "D1"-Mission, des ersten von Deutschland finanzierten Flugs des Raumlabors "Spacelab" an Bord der "Challenger". Nach seiner Rückkehr lehrte er unter anderem an der Uni Stuttgart und war zeitweise Leiter des Esa-Astronautenzentrums in Köln.

Hans Schlegel (zwei Flüge, fast 23 Tage im All): Der erste Flug des Physikers war ein deutsches Doppel. Ende April 1993 ging es zusammen mit Ulrich Walter an Bord des Shuttles "Columbia" für zehn Tage ins All. 13 Jahre später durfte Schlegel noch einmal in ein Shuttle zurückkehren - und zur ISS fliegen. Bei diesem Flug, der Mission "STS 122", brachte er das europäische Labor "Columbus" ins All. Schlegel ist mit einer früheren Kollegin verheiratet. Seine Frau Heike Walpot war ebenfalls Astronautin, durfte aber nie in den Weltraum.

Ulrich Walter (ein Flug, fast zehn Tage im All): Zusammen mit Hans Schlegel war der Physiker Walter im Frühjahr 1993 für fast zehn Tage im Weltraum. Die meisten Experimente der "D2"-Mission befassten sich mit Biologie und Materialwissenschaften. Nach seiner Rückkehr arbeitete er unter anderem beim Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt und bei IBM. Seit dem Frühjahr 2003 ist er Lehrstuhlinhaber an der TU München.

Thomas Reiter (zwei Flüge, mehr als 350 Tage im All): Er ist der Rekordhalter; länger als Reiter war kein Deutscher im All. Zum ersten Mal hob er im September 1995 ab, an Bord des russischen Transporters "Sojus TM-22". Er war Teil der 20. Langzeitbesatzung der "Mir". Seine zweite Reise unternahm er mit der Shuttle-Mission "STS-121" zur Internationalen Raumstation ISS. Auch auf dieser Station war er Langzeitgast für 166 Tage. Später war Reiter im Vorstand des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) , dann Esa-Direktor für bemannte Raumfahrt und Missionsbetrieb.

Reinhold Ewald (ein Flug, fast 20 Tage im All): Mit dem russischen Transporter "Sojus TM-25" flog Ewald im Februar 1997 zur russischen Raumstation "Mir". Während seines Aufenthalts dort brach auf der Station ein Brand in einem Sauerstoffgenerator aus. Die Besatzung konnte das Feuer aber gerade noch rechtzeitig löschen.

Gerhard Thiele (ein Flug, gut elf Tage im All): Mit der Mission "STS-99" flog er im Februar 2000 ins All. Bei der Mission wurden 80 Prozent der Erdoberfläche kartiert. Nach dem Flug arbeitete er eine Zeit lang für die Nasa, später wurde er Chef des Astronautenzentrums der Esa in Köln.

Alexander Gerst (ein Flug, mehr als 165 Tage im All): Der Geophysiker gehört zur aktuellen Astronautenklasse der Esa. Im Jahr 2014 war er für die Mission "Blue Dot" auf der ISS - und damit der dritte Deutsche auf der Station. Bei einem Außeneinsatz half er, eine defekte Kühlpumpe auszutauschen. Im Juni 2018 soll er wieder zur ISS fliegen und dann sogar erstmals das Amt des Kommandanten übernehmen.

Matthias Maurer (im Training): Der Materialwissenschaftler aus dem Saarland ist der Neuzugang im Esa-Astronautenkorps. Er trainiert derzeit für seine erste Mission - auch wenn bisher noch niemand weiß, wann diese stattfindet und wohin sie ihn führen könnte.