Museen und Archiven hoffen auf Stickstoff

2022-05-14 05:32:16 By : Ms. heidi wu

EU erschwert Schädlingsbekämpfung

Stickstoff ist billiger, besser und sicherer, um Schädlinge wie Motten aus Ausstellungsstücken zu vertreiben. Aber der LWL muss eine Gefrierkammer nutzen. Der Grund: Die EU sieht Stickstoff als ein Gift an. Dabei besteht die Atemluft zu 80 Prozent aus Stickstoff.

Lisa Wong hält den Dachs gut fest. Bis vor kurzem hat er im Naturkundemuseum in Münster gestanden. Jetzt kommt er zurück zu den anderen 2,3 Millionen Ausstellungsstücken im Archiv des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Münster-Coerde.

Vorher bringt die Kuratorin für die zoologische Wirbeltier-Sammlung des LWL den Dachs in einen Kühlschrank so groß wie eine Garage. In der laut LWL „50.000 bis 75.0000 Euro“ teuren Kühlkammer wird er die kommenden Tage mit einem Trupp von Eulen bei minus 25 Grad vor sich hinkühlen. Das soll mögliche Motten und anderes Getier in seinem Fell töten. Es gäbe ein besseres Verfahren, aber das hat die EU verboten: Stickstoff.

Bei dem Verfahren filtert ein Generator die 20 Prozent Sauerstoff aus der Luft heraus, sodass fast nur noch Stickstoff übrig bleibt. „Der Sauerstoffentzug ist das allerunbedenklichste Verfahren“, sagt Wong. Er biete die „rückstandsfreieste, objektschonendste und effektivste Behandlung von Schädlingen“. Drei Wochen bleiben die Ausstellungsstücke in dieser lebensfeindlichen Atmosphäre, dann gibt auch die letzte Motte ihren Geist auf. So eine Kammer steht im LWL-Industriemuseum in Dortmund. Die LWL-Archäologie in Münster und das LWL-Freilichtmuseum in Detmold arbeiten mit Kältekammern oder Gefriertruhen, das LWL-Freilichtmuseum in Hagen mit einer Wärmekammer.

In einer Kühlkammer ziehen sich die Ausstellungsstücke zusammen. Dürfen sie wieder raus, dehnen sie sich aus. Das strapaziert das Fell des Dachses – und all der anderen Ausstellungsstücke, sagt Wong. Vor allem Felle auf alten Präparationskörpern aus Gips leiden und reißen. Die Kuratorin kann im Archiv in Münster lauter Ausstellungsstücke mit Rissen zeigen. Entsprechend groß war und ist der Unmut unter Museen und Archiven über das Stickstoff-Verbot der EU. „Aus naturwissenschaftlicher Sicht ist eine Einstufung von Stickstoff als Biozid unsinnig. Mit 78 Prozent hat dieser den größten Anteil in unserer Atemluft“, betont Wong.

Die EU hat nach dem Protest der Museen eine Ausnahmegenehmigung bis Ende 2024 gewährt. „Das bereitet zwar den Weg für eine nationale Zulassung“, sagt Bill Landsberger, der bei der SPK zuständig ist für die Vorbeugung vor Schädlingsbefall. Er ist maßgeblich beteiligt an den Anträgen, die die SPK federführend für die deutschen Museen und Archive bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (Baua) und der EU einreicht. Doch sei das für die Museen nur ein Anfang. Sie wollen ihre Ausstellungsstücke in Zukunft wieder uneingeschränkt mit vor Ort produziertem Stickstoff behandeln dürfen. Die Chancen stehen nicht schlecht. Carsten Bloch von der Baua geht davon aus, dass die Museen den vor Ort hergestellten Stickstoff wieder so verwenden können wie früher. Die Ausnahme der EU ändert aber nichts daran, dass dafür noch eine Produktzulassung nötig ist. „Spätestens bis dahin werden wir aller Voraussicht nach eine unbefristete Genehmigung erzielt haben“, sagt er.

»Es gibt keinen sachlichen Grund, die Anträge der SPK abzulehnen.«

Das würde bedeuten, dass im LWL-Archiv eine neue Kältekammer steht, die nur zweitbeste Wahl ist. „Ob und wann die EU ihre Entscheidung revidieren wird, ist spekulativ“, erklärt Wong. „Wir mussten zum Zeitpunkt der Planung davon ausgehen, dass es entweder keine Genehmigung zum Betrieb einer Sauerstoff-Entzugsanlage gegeben hätte oder enorme wiederkehrende Kosten durch Lizenzgebühren“, erklärt sie. Wie teuer die geworden wären, sei bis dato unbekannt. „Daher die Entscheidung für eine Gefrierzelle.“ erklärt Wong. Als die Anfang 2019 eingebaut wurde, sei sie alternativlos gewesen, „da wir das wertvolle Kulturgut in jedem Fall vor Schädlingsbefall schützen müssen“.