Pulsoxymeter und Atemfrequenz: Was beim Monitoring von COVID-19 zu Hause beachtet werden muss

2022-03-19 07:39:08 By : Ms. Lynn Huang

COVID-19-Patienten mit „stiller Hypoxämie“ fehlt das Alarmsignal der Atemnot. Um schwere Verläufe zu Hause rechtzeitig zu erkennen, raten manche Experten zur Pulsoxymetrie. Andere verweisen hier auf Fallstricke und favorisieren eher die Atemfrequenz als Indikator.

Vier von 5 COVID-19-Erkrankungen verlaufen mild bis moderat. Bei etwa 14 % der Erkrankten tritt rund 7 bis 10 Tage nach Symptombeginn eine klinische Verschlechterung mit Dyspnoe und/oder Hypoxämie auf.

Dabei ist in vielen Fällen das Phänomen der „stillen Hypoxämie“ zu beobachten: Trotz deutlich eingeschränkter Oxygenierung spüren die Patienten keine wesentliche Luftnot, können sich unterhalten, essen und trinken, manche laufen problemlos herum (1). „Sie haben dann zwar ein Krankheitsgefühl und oft eine erhöhte Temperatur, doch in der Regel keine Atemnot“, beschreibt es Dr. med. Jens Geiseler, Chefarzt der Pneumologie am Klinikum Vest in Marl, auf der Homepage der „Lungenärzte im Netz“ (2). Und dies, obwohl die Pneumologen in der Computertomografie (CT) bereits entzündliche Veränderungen der Lunge sehen können.

Der US-amerikanische Notfallmediziner Dr. med. Richard Levitan, Professor am Dartmouth College in Hanover/New Hampshire, erklärt in einem viel diskutierten Beitrag für die New York Times , dass die geschädigten Lungen der Patienten auch bei sinkender Sauerstoffabsorption noch eine gewisse Zeit Kohlendioxid abatmen, sodass die Betroffenen keine Atemnot verspürten (3).

Der Sauerstoffmangel ohne Atemnot sei verwirrend und tückisch, so Levitan, denn das Auftreten von Atemnot ist für die Patienten ein Weckruf, den Arzt zu kontaktieren. Bleibt das Warnzeichen aus, können Lungenschäden rasch fortschreiten, und der Patient ist unter Umständen schon bei Klinikeinweisung ein Fall für die Intensivstation.

Um dem Problem vorzubeugen, empfahl der Beatmungsexperte daher in seinem Artikel bereits im Frühjahr 2020 die Verwendung von Pulsoxymetern zur häuslichen Überwachung von COVID-19-Patienten (3). Damit sollen sie während ihrer Isolation die Sauerstoffsättigung im Blut überwachen, um selbst einen kritischen Verlauf erkennen und rechtzeitig einen Arzt oder eine Ambulanz aufsuchen zu können.

Geiseler sieht die Empfehlung seines US-amerikanischen Kollegen allerdings kritisch. Zum einen wegen der technischen Limitation bei einer ambulanten Verwendung im Heimgebrauch: Nach aktuellen Studienergebnissen sind Heim-Pulsoxymeter für die Überwachung von COVID-19-Patienten zu ungenau. Das gilt insbesondere für die bei diesen Kranken relevanten Bereichen einer niedrigen Hämoglobinsättigung.

So erreichten in einer US-amerikanischen Untersuchung an gesunden Probanden 4 von 6 einfachen „Stand-alone“-Pulsoxymetern nicht die Anforderungen der International Organization for Standardization, was die Genauigkeit der Ergebnisse betrifft (4). Solche preisgünstigen Pulsoxymeter, die es auch hierzulande in Apotheken, Drogeriemärkten und im Online-Handel gibt, sind nach dem Dafürhalten von Geiseler genau wie Smartwatches und Smartphones mit dieser Funktion eben nicht für medizinische Anwendung gemacht.

Zudem könnten viele Einflussfaktoren die heimische Messung verzerren. Dazu zählen die Armhaltung, nicht entfernter Fingernagellack, ungünstige Lichtverhältnisse, allgemeiner Zustand der Gefäße und andere mehr (5).

Schwerer wiege jedoch, dass die Sauerstoffsättigung allein eigentlich kein hinreichend verlässlicher Indikator für gefährliche COVID- 19-Verläufe sei, betont Geiseler. Entscheidend für die Versorgung des Körpers mit Sauerstoff ist der Sauerstoffgehalt im Blut (CO2). Dieser setzt sich aus dem an Hämoglobin (Hb) gebundenen und dem gelösten Sauerstoff zusammen. Eine zu niedrige Sauerstoffkonzentration im Blut kompensieren Patienten, indem sie – unbewusst – schneller und tiefer atmen. Aber diese eigentlich physiologische Reaktion heizt auch das Entzündungsgeschehen an. Aus dem interstitiellen Gewebe fließt infolgedessen Wasser in die Lungenalveolen und Entzündungszellen wandern dort ein. Diese Vorgänge stören ihrerseits die Sauerstoffdiffusion.

Obwohl die Alveolen zu wenig Sauerstoff aufnehmen und der Sauerstoffpartialdruck sinkt, könne die schnelle Atmung die gemessene Sauerstoffsättigung in solchen Fällen noch hochtreiben, erläutert Geiseler. Umgekehrt kann Fieber die Sauerstoffsättigung des Hämoglobins senken, weil die Löslichkeit von Sauerstoff im Blut gesteigert ist – und das, obwohl der Partialdruck gleich bleibt. Prof. Dr. med. Markus Tobin und seine Kollegen von der Loyola University of Chicago erklären, warum dies bei Fieber differiert (6): Die Regulation durch die Chemorezeptoren der A. carotis, die nur auf den Partialdruck ansprechen, bleibt unverändert, während es bei einer Temperaturerhöhung von beispielsweise 3 ° Celsius schon zu einer substanziellen Entsättigung von 5–10 % kommt.

Die Intensivmediziner vermuten zudem, dass das Coronavirus selbst die Atemregulation manipuliert, da im Bereich der Chemosensoren der A. carotis ACE2-Rezeptoren gefunden wurden, die das Virus zum Eintritt in die Zellen nutzt. Vor diesem Hintergrund rät Geiseler, eher die Atemfrequenz an sich im Blick zu behalten: „Sie ist für uns der viel empfindlichere und bessere Parameter in solchen Fällen.“

Normalerweise atmen Gesunde 12 bis 16 Mal pro Minute. „Die Patienten, die in der Frühphase einer solchen Lungenentzündung zu uns kommen, haben häufig eine Atemfrequenz von 22 bis 24 Zügen pro Minute, aber keine Luftnot.“ Geiseler rät Menschen, die sich mit Corona infiziert haben, auf jeden Fall wachsam zu bleiben – gerade, wenn die ersten Symptome nach einigen Tagen abgeklungen sind. Die Entzündungen in der Lunge beginnen nach bisherigem Kenntnisstand oft erst am 6. bis 7. Tag. „Wenn es dann wieder losgeht mit schnellerer Atmung, würde ich das abklären lassen. Ich würde aber nicht dazu aufrufen, dass jeder sich als Kontrollgerät ein Pulsoxymeter zulegt“, bilanziert Geiseler.

Pulsyoxymeter für den Verlauf

„Der Zusammenhang zwischen Symptomen wie Luftnot und objektivierbaren Parametern wie Sauerstoffsättigung ist nicht hundertprozentig“, bestätigt Prof. Dr. med. Klaus Rabe, ärztlicher Direktor der LungenClinic Grosshansdorf. Dennoch hält der Pneumologe mit Lehrauftrag an der Universität Kiel die häusliche Pulsoxymetrie durchaus für ein plausibles und zulässiges Vorgehen, um einen drohenden schweren Verlauf zu erkennen – aber unter ganz bestimmten Voraussetzungen.

„Subjektiv empfundene Luftnot ist tatsächlich ein schwer objektivierbarer Befund, in den nicht nur der Sauerstoffabfall, sondern auch die Funktionalität der Atemmuskulatur, das Alter, Vorerkrankungen, die subjektive Perzeption des Patienten und anderes hineinspielen“, erklärt Rabe. Es komme darauf an, nicht nur einzelne, isolierte Parameter zu sehen, um den Verlauf zu beurteilen, seien es die Sauerstoffwerte oder die Atemfrequenz.

„Allerdings kann man kaum abstreiten, dass – ungeachtet weiterer Einflussfaktoren – ein Abfall der Sättigung stets die Luftnot befördert, das gilt für Kranke wie Gesunde.“ Von daher sei es plausibel, unter definierten Bedingungen den Verlauf der Sättigung zu beobachten und absolute Untergrenzen nur mit Blick auf den individuellen Patienten festzulegen.

Den Verlauf im Blick haben

Dies könne so aussehen, erläutert Rabe am Beispiel: Ein COVID-19- Patient, der zu Beginn der Quarantäne mit 93 % Sättigung gemessen wird, sollte bei einem wiederholt messbaren Abfall um 5 % den Arzt kontaktieren. Als Untergrenze würde Rabe bei Patienten ohne Vorerkrankungen 90 % Sättigung ansehen, bei älteren Patienten oder solchen mit einer pulmonalen Vorerkrankung wie der chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), die schon an niedrigere Werte gewöhnt sind, dürften es auch 88 % sein.

Als weitere Voraussetzungen sieht Rabe den ausschließlichen Einsatz zertifizierter Geräte und die Fähigkeit des Patienten oder einer betreuenden Person, die Messungen regelmäßig und korrekt vorzunehmen. Unter diesen Bedingungen böten Pulsoxymeter einen relativ objektiven Anhalt für eine drohende Verschlechterung. Objektiver jedenfalls als das Beobachten der Atemfrequenz, deren Veränderung die Patienten selbst meist kaum wahrnähmen und mitunter auch selbst nicht richtig quantifizieren können. Ralf L. Schlenger

Literatur im Internet: www.aerzteblatt.de/lit1421 oder über QR-Code.

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